Westwall

Ein Umweltfrevel wandelt sich ins Gegenteil. Vor mehr als 70 Jahren fügten Millionen Tonnen Zement der Landschaft im Westen Deutschlands eine tiefe Wunde zu. Heute ist der Westwall bei Simmerath ein verwunschenes Naturrefugium. Bestaunen und sogar begehen lässt er sich auf einem wunderbaren Streifzug zwischen Bickerath und Paustenbach. Die liebliche Auenlandschaft der Kall, weite Blicke, geheimnisvolle Steine und die eine oder andere Biberspur fordern zum Staunen auf.

Gelungenes „Integrationsprogramm“ der Natur

Ein Marder sucht Schutz in der Wildnis des Westwalls, eine Ente startet aus der hochstehenden Wiese ihren Morgenflug, die Kall fließt, als ob sie alle Zeit der Welt hätte. Diese Momentaufnahme eines frühen Sommertags auf dem Abschnitt des Simmerather Wanderweges 21 ist ebenso einmalig wie typisch. Denn die rund vier Kilometer lange Naturschatz-Runde bietet zu jeder Jahreszeit besondere Erlebnisse. Bereits kurz nach dem Ausgangspunkt an der Bickerather Straße tauchen Spaziergänger ein in eine verwunschene Idylle.

Zur Rechten schlängelt sich die Kall direkt neben dem schmalen, etwas Trittsicherheit verlangenden Weg, zur Linken zieht der Westwall eine grüne Grenze. In ihr wirken die steinernen Höcker kaum mehr wie Fremdkörper. Im Schatten großer Pappeln überwuchern Brombeeren, Weißdorn und Wildrosen die Panzersperren. Flechten und Moose verkleiden sie zudem mit einem dichten Pelz. Die ursprüngliche Monstrosität des Bauwerks ist nur noch zu erahnen. Gebaut wurde die fünfzügige Höckerlinie bei Simmerath ab 1939 als Teil des 630 Kilometer langen Westwalls. „Unbezwingbar“, wie es die deutsche Propaganda suggeriert hatte, war der Westwall allerdings nicht. Von September 1944 bis Februar 1945 tobte der Krieg zwischen den amerikanischen Truppen und der Wehrmacht um die Gemeinde, dann hatte die 78. US-Infanterie-Division Simmerath endgültig eingenommen. Wenn heute ein Abschnitt des Wanderwegs auf dem Randstreifen der Fundamente verläuft, so mutet dies wie eine friedliche Rückeroberung an. Die Natur hat diesen Prozess schon längst eingeläutet. Vögel nutzen die Höcker als Ausguck, kalkliebende Pflanzen überziehen den Beton, Wildtiere wandern unbehelligt entlang des grünen Korridors. Der Westwall hat seinen Weg von der Barriere zum Biotop genommen.

Ein Bach in guten Händen oder Zähnen

Die kleine Rur, wie die Kall auch genannt wird, fließt zwischen Bickerath und Paustenbach durch artenreiche Talwiesen. Zahlreiche Insekten und Spinnen sichern beispielsweise dem bodenbrütenden Wiesenpieper und dem Braunkehlchen ausreichend Nahrung. Mit viel Glück zeigt sich Ihnen vielleicht ein Eisvogel auf Beutezug. Umgestaltet wird diese Landschaft in regelmäßigen Abständen vom wieder heimisch gewordenen Biber. Wer genau schaut, entdeckt sicher alte Dämme oder Fraßstellen. Einige Roterlen haben seinen letzten Besuch überlebt, sie stehen nur zur Not auf dem Speiseplan des Vegetariers. Nach Verlassen des Westwallweges führt der Spaziergang zunächst aufwärts an einem Feldrain und später an einem Buchenwäldchen entlang, bevor der Rückweg Sie nahe an einem abgestorbenen Fichtenhain vorbeiführt. Ihn setzte der Biber in seinem Gestaltungsdrang unabsichtlich unter Wasser.

Zurück am Startpunkt an der Bickerather Straße sollten Sie unbedingt zu einem kurzen Abstecher in den gegenüberliegenden Kopperweg einbiegen. Eine rätselhafte Steinreihe geleitet Sie zu einem herrlichen Picknick- und Spielplatz an der Kall und zu einer urzeitlichen Brücke. Auch wenn die Erbauer und der Zweck nicht wirklich namhaft zu machen sind, sorgen ihre tonnenschweren Spuren doch für einen Hauch von Ewigkeit an diesem Ort.

Tour-Informationen

Start Wanderparkplatz Kopperweg/Grillhütte
Aufstieg 30 m
Abstieg 30 m
Länge der Tour 3,6 km
Dauer 1:00 Stunden
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Besonderheiten am Westwall

Tschüss Fichte!

Es schien ein kluger Plan zu sein: Entwässerungsgräben sollten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Kalltal „trocknen“ und damit gute Bedingungen schaffen für den „Brotbaum“ der Forstwirtschaft, die schnell wachsende Fichte. Doch schon bald zeigten sich die schwerwiegenden Folgen des Eingriffs in den Naturhaushalt. Die Kall verschattete, viele Tier- und Pflanzenarten verloren ihren Lebensraum. So hieß es bald: Rolle rückwärts! Mit Unterstützung der NRW-Stiftung wurden Flächen im Kalltal aufgekauft, die Fichten entfernt und die Wiedervernässung eingeleitet. Nun erobern sich Nasswiesen und Moore ihr ursprüngliches Terrain zurück.

Es war einmal ein dunkler Fluss

Vom Hohen Venn bis nach Zerkall sind es rund 25 Kilometer. Eine Strecke, die die Kall viel Farbe kostet. Tiefbraun tritt sie im moorigen Quellgebiet zutage. Über ihre Herkunft ist die Kall ziemlich „sauer“, wie ein PH-Wert zwischen 4 und 5 zeigt. Mit jedem Zufluss ändert sich dann Richtung Rur-Mündung nicht nur die Farbe, sondern auch der Säuregrad des Wassers. Die charakteristische Braunfärbung des Vennwassers war wohl einst namensgebend. Im Keltischen bedeutet „kallos“ dunkel bzw. schwarz. Schwarzsehen muss die Kall momentan allerdings nicht. Die Gewässerqualität des Eifelbachs ist gut, was unter anderem Bachforellen, Koppen und Bachneunaugen sehr zu schätzen wissen.

Der Biber – neuer, alter Nachbar

Über vierhundert Europäische Biber, Castor fiber, sind mittlerweile wieder in den Bächen der Eifel zuhause. Auch im Tal der Kall arbeiten sie ganzjährig als Wasserbauer und Landschaftsgestalter. Wo sie auftauchen, ändert sich die Szenerie: Bäume fallen, Burgen und Dämme werden im Wasser gebaut, Teiche entstehen und verlanden wieder, sogenannte Biberwiesen sprießen. Ökologisch gesehen, setzt der geschützte Biber damit eine Landschaft in Wert. Der Mensch sollte ihm dafür Beifall spenden und über eventuelle Begleitschäden großzügig hinwegsehen.