Roetgener Naturschatz

Ein Ort, an dem zwei Bäche sich vereinen, reizt fast immer zum Innehalten. So auch im Norden der Eifelgemeinde Roetgen, wo Schlee- und Grölisbach zusammenfließen. Trotz Straßennähe findet sich hier eine leise plätschernde, naturnahe Idylle. Eine ganz andere Szenerie liegt nur wenige Schritte entfernt: Die Höckerlinie des Westwalls – in Beton gegossener Ausdruck einer deutschnationalen Militärdoktrin. Von den Nationalsozialisten als Schutz- oder Friedenswall im Westen propagiert, war der Westwall jedoch Teil der Kriegsvorbereitung des Deutschen Reichs. In abwehrender Absicht gebaut, hat die Natur sie still zum Freund gemacht. Scheue und seltene Tiere wissen diese steinernen Refugien sehr zu schätzen. Lassen Sie sich ein auf eine Tour voller geschichtsträchtiger und naturschöner Impressionen!

Das Roetgener Vichtbachtal ist ein Traum für alle Wanderliebhaber. Im Wassereinzugsgebiet rund um die Dreilägerbachtalsperre wechseln Hochmoore und Heiden mit tiefen, waldreichen Taleinschnitten. Prominente „Zubringer“ in diese wunderbare Natur sind beispielsweise der Eifelsteig oder die Struffelt-Route. Soll es einmal kürzer sein, ist die drei Kilometer lange Roetgener Naturschatz-Runde weit mehr als nur ein Lückenfüller. Sie punktet mit einem bequemen Höhenprofil und einer schnellen Folge natürlicher und historischer Artefakte. Startend vom Parkplatz am Pferdeweiher, neben der Roetgener Wanderstation, erreichen Sie über Teile des Eifelsteigs schon nach etwa einem Kilometer eine Anhöhe, von der aus Sie erstmalig Sicht auf die Höckerlinie des Westwalls haben, einem mit der umgebenden Landschaft untrennbar verbundenen Zeugnis deutscher Geschichte. Im Bogen entlang des Filterwerks der Dreilägerbachtalsperre führt Sie der Weg talwärts. Vis à vis der mächtigen Höcker sollten Sie die Kulisse auf sich wirken lassen. Gebaut mit dem Mythos der „Unbezwingbarkeit“ helfen die Drachenzähne heute den Übergang von einer Diktatur in eine freiheitliche Ordnung zeitgeschichtlich zu begreifen.

Die Panzersperre über den Grölis- bzw. Vichtbach

Schon 1936 begann die Planung für das nationalsozialistische Verteidigungsbollwerk entlang der deutschen Westgrenze. Zwischen 1937 und 1940 wurden über 17 Millionen Tonnen Beton und Materialien im Wert von über drei Milliarden Reichsmark verbaut. Deutschlandweit wurden Arbeitskräfte abkommandiert, um das für die Nationalsozialisten militärisch und propagandistisch wertvolle Bauwerk zu errichten. Auch die Natur musste „ihren Dienst“ leisten. Landschaftsarchitekten waren beauftragt, die Höckerlinien in die Umgebung einzupassen und mit einheimischen Pflanzen zu tarnen.

Heute sind vielerorts die Bunker, Stollen und „Drachenzähne“ des Westwalls gesprengt worden. Umso wichtiger werden Erinnerungsorte, die eine historische Auseinandersetzung anschaulich möglich machen. Dies motivierte den Heimat- und Geschichtsverein Roetgen 2017 das rund 3000 Quadratmeter große Grundstück zu kaufen und die Panzersperren freizulegen.

Gehen Sie durch die Wiesen auf die fünfreihige Höckerlinie zu, so fällt etwas bauhistorisch Besonderes in den Blick: Die Sperrlinie quert brückenmäßig den Grölis- bzw. Vichtbach und steigt in den Münsterwald an. Eine solch aufwändige Konstruktion findet sich NRW-weit nur in Roetgen.

Tour-Informationen

Start Bahnhof Roetgen
Aufstieg 55 m
Abstieg 55 m
Länge der Tour 5,5 km
Dauer 1:30 Stunden
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Aufgehalten hat die in Ost-West-Richtung verlaufende 100 Meter lange Höckerlinie die Amerikaner letztendlich nicht. Am Morgen des 13. Septembers 1944 wurde der Sperrenbereich von der 3. US-Panzerdivision eingenommen und der Weg in Richtung Rott und den Walheimer Raum war frei. Dieser erste Durchbruch durch den Westwall leitete die Schlacht um den Hürtgenwald und damit die Endphase des Zweiten Weltkriegs ein. In die Geschichtsbücher ging Roetgen als erste deutsche Gemeinde ein, die von den Amerikanern eingenommen wurde.

Besonderheiten am Vichtbach

Der „grüne“ Westwall

Mit einer Länge von rund 630 Kilometern schuf der Westwall unbeabsichtigt ein Band, das in der heute dicht besiedelten Kulturlandschaft zu einem wertvollen Biotopverbund geworden ist. Es dient Tieren als „Sprungbrett“ zwischen verschiedenen Lebensräumen oder ist willkommener Rastplatz. Wildkatze, Dachse, Marder oder Fledermäuse quartieren sich in abgeschiedenen Bunkern und Stollen ein. Amphibien, wie Zauneidechsen, nutzen Risse und Spalten als Rückzugsorte. Flechten und Moose fühlen sich auf dem kalk- und phosphathaltigen Beton bestens Zuhause. Viel Leben für ein einst lebensverachtendes Bauwerk.

Das Rendezvous der Roetgener Bäche

Folgen Sie dem Weg weiter in südwestliche Richtung, lohnt der Blick nach links auf die mächtige Staumauer der Dreilägerbachtalsperre. Hinter ihr sammeln sich über vier Millionen Kubikmeter Trinkwasser für die gesamte Aachener Region. Wie wasserreich die Roetgener Mulde ist, zeigt sich auch ein paar Meter weiter. Ohne großen „Wirbel“ beschließen hier Schleebach und Grölisbach ihre Reise Richtung Stolberg als Vicht gemeinsam fortzusetzen. Die Ufer-Oase lädt ebenso zu einer kleinen Kneippkur ein, wie zu einem forschenden Blick in das ursprüngliche Element unseres Lebens. Nah an den Eifeler Quellen ist das Bachwasser hier noch sauerstoffreich und kühl. Gute Chancen also, Köcherfliegenlarven, Bachflohkrebse, Kaulquappen oder Libellenlarven zu entdecken. Auch Angler wissen diese Qualität zu schätzen und zählen nicht von ungefähr die Forellen aus der Vicht zu den besten der Region. Nehmen Sie das beruhigende Plätschern und Murmeln im Ohr noch mit auf den Rückweg. Dieser führt Sie unter anderem auf einem kleinen Pfad parallel zu der bei Radlern hoch im Kurs stehenden Vennbahn-Route. Vielleicht die Idee für Ihren nächsten Tag in und um Roetgen.

Was „Vicht“ uns der Name an

Ein Fluss, ein Name ─ das sollte in Zeiten der Wanderplanung mit GPS, GPX & Co. doch eigentlich selbstverständlich sein. Dem aber widersetzt sich die Vicht schon lange. Während die eine Fraktion der Eifeler, den Zusammenfluss von Schleebach und Grölisbach als Geburtsort der Vicht deklariert, meint die andere auf den Dreilägerbach warten zu müssen. Erst ab seiner Einmündung dürfe offiziell von der Vicht gesprochen werden. Oder vom Vichtbach, aber das ist eine andere Diskussion …