Die Dorflinde in Hellenthal

Ihre „Dates“ für den nächsten Abend verabreden die Menschen heute ganz selbstverständlich per Handy und Tablet. Das war nicht immer so. Nahezu in jeder Gemeinde gab es einen zentralen Ort der Kommunikation: die Dorflinde. Auch in Hellenthal nahm unter der hoch aufgeschossenen Linde so manche Liebesbeziehung ihren Anfang …

Die Linde liebt’s gesellig

Schon auf Fotos aus dem Jahr 1906 zeigt sich die Hellenthaler Linde als ansehnliche Vertreterin ihrer Gattung. Schlank, hochgewachsen und mit einer ebenmäßigen Kronenstatur behütet sie das Haus des pensionierten königlichen Postverwalters und Lokalhistorikers Eugen Virmond im Stadtkern. Ein kleines, schmiedeeisernes Gitter schützt ihren Wurzelbereich wohl vor zu viel menschlicher Nähe. Die Vorsicht hat einen Grund: Familie Virmonds Linde ist kein gewöhnlicher Privatbaum, sondern die Dorflinde Hellenthals. Sie fungierte als Treffpunkt für ein kleines Pläuschchen unter Nachbarn, als Sammlungspunkt bei Festivitäten und als „Litfaßsäule“ für Dorfereignisse. An ihrem Stamm wurde alles plakatiert, was das Dorfleben betraf, von Todesfällen bis zu Tanzvergnügen. Von einem solchen weiß auch der Hellenthaler Autor Fritz Koenn zu berichten. Wie viele Jugendliche war er in den letzten Kriegsjahren zur Wehrmacht eingezogen worden und kehrte, geprägt von traumatisierenden Erlebnissen, in ein stark zerstörtes Dorf zurück. „In solch trübseliger Gemütslage entdeckte ich eines Tages ein handgeschriebenes, kleines blaues Plakat an der aufgeschossenen Dorflinde. Ein Ball bei ‚Schäfesch‘ wurde angekündigt. …

Für Paul und mich nur eine vage Vorstellung, eine fremde Vokabel. Aber das kleine blaue Plakat ging uns nicht mehr aus dem Kopf.“ Für die beiden Heimkehrer war der daraufhin gewagte Schritt auf den Tanzboden ein Schritt zurück zur Normalität und die Chance, beim „Prommesschottisch, Langsamen Walzer und Lancier“ in Kontakt mit der weiblichen Dorfbevölkerung zu treten. Als „Baum des Volkes“ zeigt sich die Hellenthaler Linde auch auf Fotos des traditionellen Mai-Singens.  Dass heute noch mehr als 1.000 Gasthäuser in Deutschland die Bezeichnung „Zur Linde“ tragen, wundert bei alldem nicht. Nahezu auf jedem Dorfplatz, meist neben dem Rathaus, fand sich einst eine Dorflinde. Der süßliche Duft ihrer Blüten betört im Sommer nicht nur die Menschen, sondern vor allem auch Bienen und Hummeln. Nektarlieferantin, Heilpflanze, Gerichtsbaum, Liebesbotschafterin − die Linde hat viele „Ehrenämter“ und wohl darum so viele Freunde.